Einspruchsfrist abgelaufen?

Flugschrift 6

Aus dem Zentralorgan der Aktion Sperrminorität & Stiftung Unverkäuflich

Gentri-fiction:

Die Siedlung am Rande des Universums

Ungefähr zum Grünen Bundesparteitag Ende November 2010 taucht ein leuchtender Stern über Green City Freiburg auf. Ein Komet wie der von Bethlehem? Aber er zieht nicht zur bescheiden Parteitagsherberge in den Ökomessehallen; auch nicht zum ersten Passivhochhaus der Welt im Sozialstadtteil Weingarten (in das die bisherigen BewohnerInnen leider nicht mehr einziehen können, weil die Mieten nach der energetischen Sanierung zu teuer sind). Der Stern wirft seinen Schein auch nicht auf den ökologischen Modellstadtteil Vauban, sondern geht im ökonomischen Nobelstadtteil Herdern zu Boden, am anderen Ende der Stadt.

Dort landet er neben einer unscheinbaren Siedlung aus den 50er Jahren, in der Johann-Sebastian-Bach-Straße,   wo   Restbestände   von

rund 100 kaum wärmegedämmten, aber bezahlbare Kleinwohnungen ihrem Abrissschicksal entgegendämmern. Der Komet entpuppt sich als eine niedliche, billig gefertigte Raumkapsel.

Unter den zufällig anwesenden TeilnehmerInnen einer spontanen Fahrraddemo kommt Spannung auf, wer wohl aus der Kapsel steigt. Sind es die Heiligen 3 Könige auf dem Weg nach Bethlehem, die beim Grünen Parteitag vorbeischauen wollten, sich verspätet und die Abkürzung per Anhalter durch die Galaxis genommen haben? Nein, nur eine stinknormale Raumpatrouille geht von Bord, Menschen wie du und ich, die die teilweise leerstehenden Häuser interessiert betrachten, argwöhnisch beglotzt von den herbeigeeilten grün- und blau uniformierten Sternsingern des Polizeireviers Nord. Was war geschehen?

Der Monat der Grünen

Der November 2010 war der Monat der Grünen.

GORLEBEN. Claudia Roth herself blockiert in der Tagesschau die Castorschienen.

BERLIN. Renate Künast bewirbt sich vor laufen-den Kameras für das Amt der Regierenden  Bürgermeisterin, das grüne Stehpult trägt die Aufschrift www.eine-stadt-fuer-alle.de, eine flotte Parole, die rein zufällig dem Titel einer populären Streitschrift über Verdrängungsprozesse in den Städten („Gentrifizierung“) entnommen scheint.

STUTTGART. Boris Palmer, grüner Tübinger OB, verbeißt sich in der Live-Übertragung der Schlichtung zu Stuttgart 21 in die baden-württem-bergische Ministerriege und wirft sich vor den Planungszug, ungeachtet der Vorhaltung, dass dieser Zug juristisch korrekt schon seit 15 Jahren abgefahren sei.

FREIBURG. Fehlt nur noch, dass ihm Freiburgs grüner Amtsbruder Dieter Salomon zu Hilfe eilt, mit dem Blockieren von Schienenwegen kennt er sich ja aus.

Wer hätte das gedacht? Die Grünen! Einspruchsfrist abgelaufen? Egal?

Das macht uns Mut. – Ein anderes spektakuläres Planungs- und Verkehrsproblem kommt uns in den Sinn, aus Buch und Film

Per Anhalter durch die Galaxis

“Bewohner der Erde, bitte herhören. Hier spricht Protestnik Vogon Jeltz vom Galaktischen Hyperraum-Planungsrat. Wie Ihnen zweifellos bekannt sein wird, sehen die Pläne zur Entwicklung der Außenregionen der Galaxis den Bau einer Expressroute durch Ihr Sternensystem vor, und bedauerlicherweise ist Ihr Planet einer von denen, die gesprengt werden müssen. Das Ganze wird nur weniger als zwei Ihrer Erdenminuten in Anspruch nehmen. Vielen Dank.-

Es gibt überhaupt keinen Grund dermaßen überrascht zu tun. Alle Planungsentwürfe und Zerstörungsanweisungen haben fünfzig Ihrer Erdenjahre lang in ihrem zuständigen Planungsamt auf dem gerade mal 4 Lichtjahre entfernten Stern Alpha Centauri ausgelegen. Sie hatten also viel Zeit formell Beschwerde einzulegen. Wenn Sie sich nicht um Ihre Angelegenheiten kümmern, ist das wirklich Ihr Problem.“

Das Setting klingt bekannt, wie Stuttgart 21, nur eine Nummer größer. Nun, wie es scheint, hat der Galaktische Hyperraum-Planungsrat seit längerem von der Sprengung der Erde Abstand genommen und vermutlich Vogonen und Cyborgs in die Planungsämter der Großstädte eingeschleust, in denen alle Schaltjahre Baupläne zur Einsicht ausgelegt werden. Wie anders ist es zu erklären, dass die Ämter mit dem Nahverkehr problemlos zu erreichen sind, aber Lichtjahre von der Lebenswelt normaler Erdenbürger entfernt liegen?

Auf einem anderen Stern

Nicht nur auf einem anderen Stern, in einer anderen Galaxie vermuten wir die Kommandozentren der Finanz- und Immobilienunternehmen, die diese Städteplanung vorantreiben, sehr weit entfernt von unserm kleinen Erdenleben: Die Sauers, Stuckerts, Unmüssigs, die Gagfah und die Bauunion. Dort ist auch das neue Zentrum der Freiburger Stadtbau geortet worden, und zwar in einem ganz besonders Schwarzen Loch.

Seit Freiburgs grüner OB die Stadt- und Aufsichtsräte des kommunalen Wohnungsunternehmens zur Geheimhaltung nach Aktienrecht verdonnert hat,  dringt  so  gut  wie  nichts  an  Infos  aus dem

Schwarzen Loch  nach draußen auf die Erde (Schwarz-Grünen Loch). Nur gelegentlich, mit intergalaktischer Verspätung, verirrt sich eine schwache Nachrichtenstrahlung in die Spalten der Badischen Zeitung. Dort konnten wir zum Beispiel über ein Vorhaben der Stadtbau im hochpreisigen Herdern lesen, in besagter Johann-Sebastian-Bach-Straße: Ein ganzer Straßenzug mit 100 einfachen Mietwohnungen wird platt gemacht und durch bestens ausgestattete und wärmegedämm-teste Neubauwohnungen „ersetzt“. Für wen?

Das Schwarze Loch

Gibt es Verdrängungsprozesse („Gentrifizierung“) etwa auch in Freiburg, gar mit Grüner Beteiligung (OB, stärkste Gemeinderatsfraktion)? Also nicht nur im fernen Berlin, wo im Szene-Stadteil Prenz-lauer Berg nur noch 10 % der Bevölkerung von vor 20 Jahren wohnt? Was würde Renate „Eine-Stadt-fuer-alle“ Künast dazu sagen?

Fragen wir doch einfach mal: In welchem Planungsamt, auf welchem Stern haben die Pläne für die J.S.Bach-Straße ausgelegen? Wann gab es eine öffentliche Diskussion, die wir nicht mitbekommen haben? Ist die Einspruchsfrist schon abgelaufen, bevor sie angefangen hat (Raum-Zeit-Anomalie)? Statt Albert Einstein ziehen wir Adam Ries zu Rate und rechnen:

Astronomische Zahlen

Die Stadtbau selbst kalkuliert mit rund 3.000 €/m² Gesamtkosten beim Bauvorhaben an der Uferstraße im nicht so noblen Haslach. Wir kalkulieren weiter:

Ein Baudarlehen mit günstigem Zins von 3 % plus 1 % Tilgung, das macht zusammen 4 % für den Kapitaldienst. Auf 3.000 € je m² gerechnet sind das 120 € im Jahr oder 10,00 € im Monat.

Dazu kommen 2,00 € pauschal für Instandhaltung und Verwaltung, das macht 12,00 € je m² im Monat reine Kaltmiete (bzw. Belastung bei Erwerb) für das Bauvorhaben J.S.Bach-Straße.

Für wen wird hier gebaut? Die Mietobergrenze für einen Hartz-IV-Haushalt mit 4-Personen beträgt 5,76 €/m². Sind das Wohnungen für die Zielgruppe, die die Satzung der Freiburger Stadtbau so schön aufzählt?

„Die Gesellschaft der Stadtbau und ihre Organe … verfolgen in allen Geschäftsbereichen die Zurverfügungstellung von preiswertem Wohnraum im Stadtgebiet Freiburg, sowie die Versorgung einkommensschwacher Bevölkerungsteile, alleinerziehender Eltern, Arbeitsloser, Obdachloser und Jugendlicher.“

Fehler im Bordcomputer

Haben die Freiburger Grünen den Kurs verloren, auf Grund eines Rechenfehlers im Bordcomputer? Wir wissen es nicht, direkter Kontakt ist nicht möglich, jede Botschaft ist im Schwarzen Loch versackt. In alten Archiven haben wir eine Spur gefunden. Sollte der OB bereits vor 20 Jahre sein heimliches Regierungsprogramm verkündet haben, ohne dass die Wähler es gemerkt haben? Und zwar im Titel seiner Doktorarbeit: „Grüne Theorie und graue Wirklichkeit. Die GRÜNEN und die Basisdemokratie.“? Oder wie es der Kabarettist Matthias Deutschmann zeitgemäß umformuliert hat: „An der Macht sind alle Grünen grau“?

Grüne Flaschenpost

Aber grün ist die Hoffnung, und die stirbt zuletzt. Auf der Suche nach einer Antwort auf die beunruhigenden Fragen stieß unser leistungsstärkstes Weltraumteleskop zufällig auf eine interstellare Flaschenpost in einer fernen Umlaufbahn um das Schwarz-Grüne Loch mit einer rätselhaften Botschaft. Es gelang diese zu entschlüsseln, da war die Freude groß. Keine machtbesessenen Aliens und Klingonen hatten diese  abgesetzt, sondern  freundliche  Menschen,

die es förmlich nach Kooperation, Transparenz und sozialem Handeln drängt – echte Grüne. Die Freude steigerte sich, als wir den Text der Flaschenpost tatsächlich mit der Website der Partei der Grünen Wort für Wort abgleichen konnten, unter der Überschrift:

„Charta der Global Greens – Canberra 2001“

„Teilhabe am demokratischen Prozess“

„Wir streben eine Demokratie an, in der alle Bür-gerinnen und Bürger … unmittelbar an umwelt-relevanten, wirtschaftlichen, sozialen und politi-schen Entscheidungen, die ihr Leben beeinflus-sen, teilhaben können…

Das erfordert

-  eine Stärkung der Rechte des einzelnen durch Zugang zu allen entscheidungsrelevanten Informationen…

-  die Überwindung der Ungleichheiten an Wohlstand und Macht, die an der Teilhabe hindern…“

Hallo Freiburger Grüne,

rufen wir ins Schwarze Loch zurück, wir holen euch da raus! Auch wenn ihr schon von dem einen oder dem anderen Cyborg unterwandert sein solltet – wir werden euch helfen, die schönen Ziele der Grünen Charta umzusetzen: Bei der Freiburger Stadtbau, zum Beispiel in Herdern in der Johann-Sebastian-Bach-Straße.

Transparenz ist machbar

Zunächst hätten wir gern wie in eurer Charta versprochen den uneingeschränkten Zugang zu den betreffenden Unterlagen aus dem Aufsichtsrat, wo ihr vor eineinhalb Jahren den Abriss der Häuser und Neubau unter Ausschluss der Öffentlichkeit beschlossen habt. Ihr habt die Macht und die Mehrheit dazu. Dann ist  selbstverständlich ein  Bau- und Abrissstop angesagt, bis die Alternativen öffentlich verhandelt und geprüft sind.

Einspruchsfrist abgelaufen?

Die Grüne Charta fordert „…die Überwindung der Ungleichheiten an Wohlstand und Macht, die an der Teilhabe hindern“. Das ist durch Zerstörung von preiswertem Wohnraum und Neubaumietpreisen über 10 €/m² schwerlich zu machen. Das können wir euch gern erläutern. Ihr zögert? Weil die Einspruchsfrist abgelaufen ist? Egal. Stuttgart lässt grüßen. Und mit dem Baugebiet Gutleut-matten in Haslach und anderen Projekten der Stadtbau machen wir weiter.

„Alle Fakten müssen auf den Tisch! Schluss mit der Geheimniskrämerei!“ So kürzlich unser Bord-seelsorger Heiner Geißler im Gespräch mit dem Zweiten Bordnavigator Boris Palmer. Unsere Raumkapsel ist gestartet und auf dem Weg. Kurs: Das Schwarz-Grüne Loch. Wenn die Stadtbau und andere Investoren nicht in der Lage sind, preiswerte Mietwohnungen zu erhalten und zu schaffen, wird ihnen unsere Baugruppe „Wem gehört die Stadt“ mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Mit astronautischen Grüßen

Intergalaktische

Baugruppe „Wem gehört die Stadt ?“

Terrestrische Mailbox: c/o aktionsperrminoritaet@gmx.de